Der Umwelt zuliebe müssen wir vor allem den Heizenergiebedarf senken – so denken in der Bauwirtschaft viele. Doch gilt das noch, wenn sich Hitzetage häufen und die Durchschnittstemperaturen steigen?
Andy Senn: In der Schweiz sind wir ein ausgeglichenes Klima mit wenigen Hitzetagen gewohnt. Unsere Bauvorschriften fokussieren auf die Wärmedämmung. Doch mit der Klimaerwärmung ist der Hitzeschutz plötzlich ein riesiges Thema. Das stellt uns vor Herausforderungen: Ein Gebäude bei hohen Außentemperaturen kühl zu halten, ist schwierig. Es kommt auf einen ausgeklügelten Sonnenschutz an, man muss Kühleffekte klug nutzen und die richtigen Baumaterialien auswählen. Auch die Nutzung will berücksichtigt sein: Ein Klassenzimmer mit 30 Schulkindern heizt sich stärker auf als ein Büro.
Saikal Zhunushova: Trotzdem dürfen wir die Dämmung nicht vernachlässigen. Das lehrt mich Kirgistan, wo ich aufgewachsen bin und noch arbeite: Vom Frühjahr bis in den Herbst ist es dort sehr heiß. Viele Kirgisen dämmen ihre Backsteinhäuser darum nur mit einer fünf Zentimeter dünnen Steinwolle-Schicht. Das reicht nicht: Am besten wappnet man sich gegen ein Klima mit großen Temperaturschwankungen mit einem weichen Dämmstoff als Kälteschutz für den Winter, auf den man dichtere Materialien wie Holzfaserplatten gegen die Sommerhitze montiert.
Eine besondere Bedeutung bekommt die Dämmung, will man passive Wärmegewinne nutzen – also zum Beispiel die hereinscheinende Sonne oder die Körperwärme der Bewohnenden. Ohne ausreichende Isolation würde die Heizwirkung einfach verpuffen. Und noch ein Aspekt wird unterschätzt: Die Dämmung ist entscheidend für den Komfort. Sie verhindert nämlich, dass die Wandoberflächen im Winter unangenehm kalt und im Sommer zu heiß werden.
Johanna Deinet: Hitze ist besonders im Holzbau eine Herausforderung. Holz ist ein schlechter Wärmespeicher. Um Holzbauten ohne Klimaanlage zu kühlen, muss man für genügend Speichermasse sorgen. Damit beispielsweise ein System der Nachtauskühlung funktioniert, kommt es auf die richtigen Schüttungen und Wandaufbauten an. Besonders vorteilhaft kann es sein, Holz mit anderen Naturbaustoffen zu kombinieren, also beispielsweise im Inneren Lehmplatten zu montieren und diese mit einem Lehmputz zu versehen. Das trägt nebenbei zu einem gesunden Raumklima bei.
Ihr schützt eure Bauwerke vor allem konstruktiv gegen die Hitze, aufwendige Haustechnik setzt ihr nur sparsam ein oder vermeidet sie ganz.
Andy Senn: Lowtech ist eine Frage der Souveränität: Hast du eine architektonische Lösung mit Sonnenschutz-Bauteilen parat oder bist du auf die Hilfe von Klimaanlagen und Co angewiesen?
Dann gibt es viele schlechte Architekten: Auf dem Markt werden verschiedenste hochtechnisierte Lüftungsanlagen und Aircondition-Systeme angeboten.
Andy Senn: Das Interesse an Lowtech-Architektur ist groß – bei Bauherrschaften und ganz besonders an den Hochschulen. Noch hapert es aber bei der Umsetzungsbereitschaft. Ohne großen technischen Aufwand schwankt die Raumtemperatur. Man muss im Winter wahrscheinlich einen Pullover tragen und im Sommer vielleicht lieber eine kurze Hose. Dafür ist die subjektiv empfundene Behaglichkeit in einem Lowtech-Bau immer höher – der Technik ausgeliefert zu sein, stößt viele Menschen ab.
Gerade öffentliche Bauherrschaften stellt das vor ein Dilemma: Wie viel Risiko können sie eingehen? Sind sie bereit, eine Nutzervereinbarung zu unterschreiben und sich über einzelne Normen hinwegzusetzen? Unser Landwirtschaftliches Zentrum in Salez ist der Initiative des früheren St.Galler Kantonsbaumeisters Werner Binotto zu verdanken. Hätte er nicht die Verantwortung übernommen, wäre die Anlage so nie gebaut worden. Auch Schulleiter Markus Hobi leistete einen entscheidenden Beitrag, indem er sich als engagierter Nutzervertreter früh und mit großer Überzeugung für das Projekt einsetzte. Wir haben einen Holzbau ohne Gebäudeautomation, ohne Lüftungsanlage und ohne Klimaanlage entworfen. Für die Querlüftung entwickelten wir spezielle Kanäle, die von der natürlichen Lüftung historischer Ställe inspiriert sind. Balkone spenden Schatten, und Schiebeläden, die die Nutzer selbst bedienen, schützen an heißen Tagen vor der Sonne.
Johanna Deinet: Wir hatten das Privileg, für Blumer Lehmann zu bauen. Bei dieser Firma ist das Umweltbewusstsein sehr ausgeprägt und die Experimentierfreudigkeit groß. Beim neuen Hauptsitz auf dem Erlenhof bei Gossau sollten alle Möglichkeiten des modernen Holzbaus ausgereizt werden. Inspiriert auch von eurer Landwirtschaftsschule, Andy, haben wir die Fassade mit umlaufenden Balkonen zur Beschattung versehen und ein System der Nachtauskühlung mit automatischen Lüftungsflügeln eingebaut. Für zusätzliche Abkühlung sorgen Kühlschlangen, die dem Erdreich Kälte entziehen und in die Büros leiten.
Entscheidend für den Erfolg von Lowtech-Bauten ist ein ganzheitlicher Entwurfsansatz: Man kann klimaangepasstes Konstruieren nicht von der Gestaltung der Grundrisse und der Organisation der Räume trennen. Die Nachtauskühlung im Blumer Lehmann-Stammhaus funktioniert zum Beispiel nur, weil das Team gemeinsam in großen Büroräumen arbeitet. Kleinteilige Einzelbüros könnte die kühle Luft nicht ausreichend durchströmen.
Saikal Zhunushova: Mir gefällt nicht, wenn Lowtech als bewusster Verzicht dargestellt wird. Niemand verzichtet gern. Ich erkläre den Leuten lieber, was sie gewinnen. Das können niedrige Betriebskosten sein, aber auch Emotionen: Eine kirgisische Familie gibt umgerechnet rund 300 Dollar für Gas zum Heizen und Kochen aus. In meinen Häusern, die passive Wärmegewinne nutzen, kommen die Bewohnenden mit 50 Dollar aus. Und dass ich mit Stroh und Holz baue und Lehmputze verwende, bewegt die Menschen: Sie denken an die Häuser ihrer Großeltern und schwelgen in Erinnerungen.
Umgekehrt verstehe ich, dass bei manchen Bauaufgaben wie einem Spital ausgefeilte Haustechnik wichtig ist. In Kirgistan ist die Luftqualität schlechter als in der Schweiz, oft hängt dichter Smog über den Städten. Da ist der Wunsch nach Lüftungsanlagen mit Filtern verständlich. Allerdings plädiere ich immer dafür, nur das Nötigste einzubauen, und wünsche mir eine gesunde Skepsis gegenüber technischen Lösungen, wie sie der bayerische Architekturprofessor Florian Nagler vorlebt.
Eure Bauten sind Vorzeigeprojekte, mitunter müssen neue Konstruktionen entwickelt und Bauteile unkonventionell eingesetzt werden. Was wünscht ihr euch von den Herstellern?
Johanna Deinet: Eine Herausforderung beim Blumer Lehmann-Bau waren die Sonnenschutzrollos. Wir wollten sie ganz außen an der Fassade montieren, um eine gute Durchströmung zu erreichen und eine Klimapufferzone auszubilden. Außerdem können dank des Abstands zur Gebäudehülle die Brüstungsbereiche frei bleiben, sodass selbst bei geschlossenen Storen ein Blickfenster zur Landschaft offen bleibt. Zugleich sollten die Rollos ästhetisch und leicht transparent sein. Also entschieden wir uns für filigrane, seilgeführte Textilstoren von Griesser, die bei Sonne automatisch herunterfahren. Doch eigentlich dürfen diese nicht so hoch und exponiert am Gebäude eingebaut werden: Der Wind könnte sie beschädigen. Mit der Bauherrschaft haben wir entschieden, diese Sicherheitsvorgabe zu ignorieren. Falls tatsächlich einmal an einem heißen Tag starker Wind bläst, öffnen sich eben einige Storen und es wird im Gebäude etwas wärmer.
Saikal Zhunushova: In Kirgistan fehlen Bauteile für den außenliegenden Sonnenschutz – es gibt weder Storen noch Fensterläden. Ich träume davon, dort ein großes Mehrfamilienhaus mit Holz-Fensterläden zu bauen. Denn Läden sind nicht nur ein einfacher, effizienter Sonnenschutz, sie eignen sich auch toll als Gestaltungsmittel.
Eine zusätzliche Herausforderung ist es, das richtige Material für Balkon-Konstruktionen zu finden. Denn verwendet man in Kirgistan gut verfügbare Baustoffe wie Beton, heizt die große Masse vor den Fenstern die Innenräume von außen dauerhaft auf. Behelfen kann man sich, indem man die Oberflächen bepflanzt, sodass weniger Wärme kumuliert – oder gleich ein leichteres Material wie Holz verwendet.
Zurzeit betonen viele Hersteller, wie umweltfreundlich sie sind – bei manchen mag das bloß eine Marketingstrategie sein, doch andere handeln aus Überzeugung. Entscheidet die Haltung darüber, wessen Produkte ihr verbaut?
Andy Senn: Bei öffentlichen Bauten ist die Beschaffung streng geregelt. Bei der Auswahl gibt es nur begrenzt Spielraum. Doch wenn es möglich ist, arbeiten wir mit Herstellern aus der Region, örtlichen Handwerkern und einheimischen Fachplanern zusammen. Es gibt in der Ostschweiz beispielsweise hervorragende Fensterbauer und Holzbauunternehmen, die für ihre Arbeit brennen und das Beste erreichen wollen. Mit solchen Partnern spricht man sofort dieselbe Sprache, und die Zusammenarbeit ist eine Freude.
Johanna Deinet: In solchen Konstellationen kann man gemeinsam lernen. Kleine, regional verwurzelte Unternehmen sind oft entwicklungsfreudiger. Mit ihnen kann man eher Produkte verbessern oder sogar neue gestalten.
Saikal Zhunushova: Mir imponieren Firmen, die Geld für Lehre und Forschung zur Verfügung stellen, Architekturpreise ausloben oder Vermittlungsprojekte unterstützen. Denn gerade die Fachhochschulen sind dringend auf Drittmittel angewiesen, um forschen zu können und Innovationen hervorzubringen. Auszeichnungen und Publizität lenken die Aufmerksamkeit auf vorbildliche Projekte. Das hat Einfluss auf die zukünftigen Entscheidungen von Bauherrschaften.