Ganzheitlicher Blick auf den Krankenhausbau nötig

Gesprächspartner des »Healing Architecture«-Themenspecials: Prof. Dr. Boris Augurzky (RWI Essen), Sylvia Leydecker (100% interior), Prof. Linus Hofrichter (a|sh architekten), Prof. Dr. med. Gernot Marx (Uniklinik RWTH in Aachen), Prof. Mathias Wambsganß und Prof. Dr. med. Cornel Sieber (Klinikum Winterthur) (© World-Architects)

Die Gestaltung von Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen hat einen erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden von Patientinnen und Patienten, Angehörigen und Personal, das ist hinlänglich bekannt. Dass zusätzlich weiter differenziert werden muss, um welche Altersgruppen von Patienten es sich handelt, hat der Austausch mit Fachleuten aus ganz unterschiedlichen Richtungen gezeigt. Der Blick auf die Altersmedizin mit Cornel Sieber einerseits und den Neubau des Zürcher Kinderspitals andererseits macht dies besonders deutlich. Ob Geriatrie oder Pädiatrie: Es müssen jeweils die spezifischen Bedürfnisse der Patientengruppe im Mittelpunkt stehen, und das mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Beide Gruppen sind vulnerabel und benötigen eine ihnen entsprechende, altersgerechte Umgebung. 

Die Bedürfnisse kennen

Im Alter stehen vor allem Sicherheit und Orientierung im Vordergrund, während bei Kindern Geborgenheit und Wohlfühlen wichtig sind. Junge und Betagte haben gleichermaßen Ängste, wenn sie sich in einer fremden Umgebung aufhalten. Doch während bei Kindern meist die Eltern unterstützend vor Ort sein können, sind alte Menschen vielfach mehr auf sich alleine gestellt und haben zusätzlich multiple körperliche und / oder geistige Beeinträchtigungen, was im Krankenhaus als Multimorbidität bezeichnet wird. Cornel Sieber meinte dazu, es sei wichtig, »nicht aus der Sicht der eigenen Generation zu bauen, sondern mit einem klaren Blick auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten« – was sowohl für ältere Menschen als auch für Kinder gilt.

Als eines der Hauptkriterien führten unsere Gesprächspartner auch immer wieder die Qualität der Tageslichtplanung auf. Alte Menschen, die schlechter sehen, können sich in klar lesbaren Räumen besser orientieren, während Kindern eine abwechslungsreiche und stimmungsvolle Gestaltung dabei hilft, Ängste ab- und Vertrauen aufzubauen. Tageslicht sollte dabei maximal genutzt werden und Kunstlicht jeweils eine Ergänzung sein, die dabei an den circadianen Rhythmus der Menschen angepasst wird. Dafür ist auch eine gesamtheitliche Planung der Räume inklusive der Materialien der Oberflächen wichtig, wie sowohl im Gespräch mit Lichtplaner Mathias Wambsganß als auch in den Ausführungen der Innenarchitektin Sylvia Leydecker deutlich wurde. Sie betrachtet das Entwerfen als eine Art »Umarmung« und betonte im Gespräch die Wichtigkeit von Materialqualität, Farben und Formen. Zugleich kritisierte sie, dass Aufenthaltsqualität in der Regelversorgung im Gegensatz zur Wahlleistung gegenüber dem Krankenhaus nicht auch finanziell honoriert wird.

REHAB Basel, Architektur: Herzog & de Meuron (Foto: © Katalin Deér)
Aufenthaltsqualität als treibender Faktor

Die Aufenthaltsqualität war bereits zu Beginn unserer Reihe von Sylvia Leydecker und Architekt Linus Hofrichter klar als entscheidendes Kriterium genannt worden. Während Leydecker die emotionale Komponente in Kombination mit den spezifischen Anforderungen im Gesundheitswesen betonte, hob Hofrichter die Bedeutung von Orientierung, Tageslicht und klarer Wegeführung hervor. Er plädierte zudem für eine stärkere Berücksichtigung der Bedürfnisse des Personals, das aufgrund des Schichtbetriebs meist überproportional belastet wird. Boris Augurzky, der als Dritter an diesem Auftaktgespräch teilnahm, konzentriert sich primär auf die wirtschaftlichen und finanziellen Aspekte. Er plädierte für eine qualitätsorientierte Vergütung der Krankenhausleistungen und kritisierte die noch aktuelle duale Finanzierung. Darin, dass Aufenthaltsqualität bisher nicht als wichtiger Faktor betrachtet wird, sieht Augurzky einen großen Missstand. Zugleich verwies er auf das Potenzial, mit neuen Methoden diese Qualitäten künftig zu erfassen und die positiven Auswirkungen auf den Genesungsprozess messbar zu machen, um das Thema Aufenthaltsqualität besser definieren zu können. Im Interview berichtete er von Testverfahren, mit denen der digitale Reifegrad eines Krankenhauses messbar werde und hielt es für machbar, ähnliche Verfahren zur Beurteilung der Aufenthaltsqualität zu entwickeln. 

Regional unterschiedliche Herausforderungen
Über wirtschaftliches Optimierungspotenzial sprach auch Gernot Marx, der als Facharzt für Anästhesiologie die Klinik für operative Intensivmedizin und Intermediate Care an der Uniklinik RWTH in Aachen leitet, beim Blick auf heutige Krankenhausstrukturen. Besonders in der Digitalisierung und Telemedizin gebe es viel Potenzial für eine verbesserte Patientenversorgung. Die Digitalisierung verändere die Arbeit in Krankenhäusern und ermögliche einen schnelleren Datenaustausch, eine bessere Vernetzung und ein schnelleres Arbeiten. Die Telemedizin spiele dabei eine wichtige Rolle, so Marx, um Fachwissen flächendeckend zur Verfügung zu stellen. Doch während sich Fachleute in Deutschland und Europa mit derlei hoch spezialisierten Technologien beschäftigen, ist die globale Wahrheit eine andere: Als Gegenpart zur deutschen Krankenhaus-Infrastruktur blickten wir im Dossier auch auf das Ausland, genauer auf den afrikanischen Kontinent. Im globalen Süden sind viele Länder mit großen Problemen im Gesundheitsbereich konfrontiert, die mit Armut, dem Klimawandel und Krankheiten zusammenhängen. Architektur kann dort ein Instrument der Fürsorge sein, indem sie auf lokale Materialien, Fertigkeiten und ökologische Strategien setzt.

»Maggie’s« in Leeds (Yorkshire), Architektur: Büro Heatherwick Studio (Foto: © Heatherwick Studio)
Interdisziplinärer Blick auf nachhaltige Entwicklung

Alle bisher erschienen Beiträge zeigen, wie vielschichtig das Thema »Healing Architecture« ist. Es gibt nicht den einen richtigen Ansatz, sondern viele unterschiedliche Faktoren, die bei der Gestaltung von Gesundheitsbauten berücksichtigt werden müssen. Die Missstände sind vielfältig und lassen sich nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen. Viele von ihnen basieren auf objektiven Problemen, die sich durch Studien und praktische Erfahrungen belegen lassen. So ist die Notwendigkeit altersgerechter Strukturen, einer guten Lichtplanung oder die Bedeutung der Aufenthaltsqualität durch Forschungsergebnisse gestützt. 

Doch auch subjektive Perspektiven der jeweiligen Experten prägen das Bild. So sind sich diese zwar in vielen Punkten einig, setzen aber jeweils unterschiedliche Schwerpunkte. Die wichtigsten Hebel auf dem Weg zu mehr Krankenhausqualität liegen jedoch in einer ganzheitlichen Betrachtung des Krankenhausumfeldes, die sowohl die medizinischen, funktionalen als auch die emotionalen Bedürfnisse von Patienten und Personal berücksichtigt. Eine solche Betrachtung erfordert die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen, eine Überprüfung der Finanzierungsstrukturen und die Integration von Forschungsergebnissen in der Bauplanung. Gleichzeitig müssen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit anders gewichtet werden, um langfristig die Gesundheitsversorgung zu verbessern. In weiteren Artikeln werden wir diese Themen vertiefen sowie weitere Ansätze vorstellen und auf ihre Zukunftstauglichkeit prüfen.

Aus der Sicht der Projektpartner

Das Themenspecial entsteht in Zusammenarbeit mit drei Unternehmen, die sich mit ihren Produkten für eine bessere Aufenthaltsqualität im Krankenhaus einsetzen. Ihre Motivation für dieses Engagement erklären sie hier.

Agrob Buchtal
»Mit unseren keramischen Produkten sind wir schon seit Jahrzehnten Bestandteil von ›Healing Architecture‹. Wir fördern die Aufenthaltsqualität in sensiblen Bereichen wie Kliniken oder Pflegeeinrichtungen zum Beispiel mit den intelligenten Oberflächen unserer Fliesen, wie der hygienischen Hytect-Veredelung, sowie einem zeitlosen Design. Im Fokus steht die Verbindung von Funktionalität, Ästhetik und Wohngesundheit – für Räume, die Wohlbefinden, Orientierung und Geborgenheit unterstützen.«

Schyns Medizintechnik
»Seit der Firmengründung durch Alphonse Schyns im Jahr 1984 steht bei Schyns Medizintechnik die Aufenthaltsqualität von Patienten im Fokus. Ganz nach dem Leitsatz ›Healing architecture for all senses‹, besteht unser Engagement darin, Patientenzimmer mit designorientierten, multisensorischen und ergonomischen medizinischen Versorgungseinheiten auszustatten. Unsere Licht-, Musik- und Akustikkomponenten tragen dazu bei, eine heilungsfördernde Atmosphäre zu schaffen, die das Wohlbefinden, die Ruhe und auch die Orientierung der Patienten unterstützt.«

Tarkett
»Für Tarkett ist es ein großes Anliegen, den Menschen und sein Wohlbefinden in den Mittelpunkt jedes Projekts im Gesundheitswesen zu stellen. Wir setzen auf geprüfte und nachhaltige Materialien sowie beruhigende Farben, die den Genesungsprozess unterstützen. Auch das Wohl des Personals ist uns wichtig. Mit einer eigenen Forschungsstudie zum ›Krankenhaus der Zukunft‹ setzen wir uns dafür ein, Krankenhäuser zu Orten zu machen, an denen sich Patienten und Personal gleichermaßen wohlfühlen.«

 

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